Schellenberg

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Otto Schellenberg, "Schelli" (1890 - ): 

Deutsch ???

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Von Schülern zum „Doktor“ ernannt – „Schelli“

Um die Erinnerung an „Schelli“ wachzurufen, müssen wir gedanklich in die Anfangszeiten unserer Schüler-Karriere am Domgymnasium hinabsteigen.

Das Kriegsende lag gerade sieben Jahre zurück, als wir 1952 nach bestandener Aufnahmeprüfung als Sextaner in den „heiligen“ Räumen des Domgymnasiums die Schulbänke drückten. Unser „Handwerkszeug“, bestehend aus grauen Schulbüchern aus grauem Papier, Heften, Bleistiften und Füllfederhalter trugen wir in Schulranzen an sechs Tagen in der Woche in unsere neue Bildungsstätte. Die Zeit der Aktentaschen und Kollegmappen kamen dann später.

Einer unserer ersten Lehrer war Studienrat Schellenberg, genannt „Schelli“. Er unterrichtete uns hauptsächlich in Deutsch, war dann in der 6. und 7. Klasse auch unser Klassenlehrer. Die damalige Klasse blieb natürlich nicht bis zum Abitur zusammen. Aus vielerlei Gründen wurden wir in den nächsten Jahren mit den Schülern der Parallelklasse, in der 7. sogar mit denen zweier Parallelklassen durchmischt. Die Fluktuation in den ersten Jahren, bedingt durch Wohnungswechsel in der Nachkriegszeit, Aufsteiger aus der Mittelschule und Sitzenbleiber war beträchtlich.

Aber zurück zu „Schelli“, einem alten (er stand dicht an der Pensionierungsgrenze), kleinen, schmächtigen Studienrat mit Kneifer. Sein Name musste nicht nur dazu herhalten, zum Spitznamen „Schelli“ weiterentwickelt zu werden, sondern auch für andere Wortspiele. „Herr Schellenberg, es schellt!“ war ein beliebter Schülerausruf, um ihn nach dem Klingelzeichen an das Unterrichtsende zu mahnen .Er nahm das gelassen hin. Dann kamen wir auf den Gedanken, ihn Herr "Dr." zu rufen - warum, weiß keiner mehr -. Es war wohl gutmütiger Schülerspott, denn Schelli tat zwar seine Pflicht, war jedoch kein begnadeter Pädagoge. Aber in der Nachkriegszeit waren Lehrer knapp, so hatte er eine Planstelle erhalten, der Herr Leutnant aus dem Ersten Weltkrieg. Ja, das war er wirklich gewesen. Wenn es sich so ergab und wir, um Abwechslung vom trockenen Schulstoff bemüht, ihn baten: „Herr Doktor, erzählen Sie uns doch von den „Franzmännern“, wehrte er erst verlegen ab. Dann rückte „Schelli“ seinen Kneifer zurecht, rieb gedankenverloren die Hände, richtete seinen Blick in die Ferne und erzählte uns einige amüsante oder aufregende Erlebnisse aus seiner Kriegszeit im Kampf gegen die Franzosen, die „Franzmänner“.

Wenn einer sich nicht entscheiden konnte, welches Wort er wählen oder welche Regel er anwenden sollte, pflegte er zu sagen: „Das kannst Du halten wie der Pfarrer Aßmann.“ „Wie hielt der es denn?“ Seine Antwort: „Wie er’s wollte.“ Das leuchtete dann ein.

Wahrscheinlich fiel ihm seines Alters wegen der Unterricht schwer. So wollen wir es erklären, dass er Stammgast bei „Blume“ war, einer Gaststätte unweit des Domgymnasiums. Dort „erholte“ er sich nach Schulschluss bei etlichen Hochprozentigen und den dazugehörigen Bieren. Seine Schräglage bei Verlassen des Lokals war nicht zu übersehen. Er hatte bis zu seiner Wohnung noch einen beträchtlichen Fußmarsch vor sich. Aber manchmal nahm er auch sein Auto, jawohl, „Schelli“ war Besitzer eines kleinen „Brennabor“. Das war ein zweisitziges Cabrio. Es ließ sich gar nicht so einfach in Betrieb setzen. Es hatte keinen elektrischen Anlasser. Der leicht alkoholisierte „Schelli“ musste es mit einem mechanischen Handanlasser zum Start ermuntern. Das war für uns natürlich ein amüsantes Bild.

Nun ja, der Straßenverkehr war damals noch äußerst gering, so konnte „Schelli“ ohne Schaden nach Hause gelangen, während sich die Prozente in Promille verwandelten. Nur wenn er mit seiner Frau zusammen ausfuhr, schien er sehr nüchtern zu sein. War es die Furcht vor dieser Respektsperson? Frau Schellenberg thronte groß und breit neben ihm auf dem Beifahrersitz, man sah den kleinen „Schelli“ kaum. Der Wagen hatte Schlagseite, es war ein lustiges Schauspiel.

Jungen Damen gegenüber stellte er gern den Kavalier alter Schule dar. Schwestern und Freundinnen seiner Schüler lud er dann auch bei Schulfeierlichkeiten zu einigen alkoholfreien(!) Getränken ein, freute sich, wenn sie „Herr Dr.“ zu ihm sagten, und fühlte sich in ihrer Gesellschaft sichtlich wohl.

Wo sind sie geblieben, die unverwechselbaren Originale? Hoffentlich werden auch unsere Nachfolger von „Typen“ berichten können. Es wäre schade, wenn wir nur noch „gestylte“ Einheitslehrer hätten.

© Ulrich Kohlstädt 2019