Schulstreik

6. Streik für hitzefrei - Der Schulstreik

"Hitzefrei!" Welcher Schüler kannte und ersehnte nicht dieses Zauberwort, um bei deutlich gestiegenen Außentemperaturen der Mühsal des Unterrichts entfliehen zu können ? Aber wer gab hitzefrei und unter welchen Bedingungen?

Zu unserer Zeit hing im kühlen Eingangstreppenhaus ein großes Thermometer, das nie von der Sonne beschienen wurde. Man hatte es wohl absichtlich an der kühlsten Stelle des gesamten Schulgebäudes installiert. Es diente der Außentemperatur - Anzeige. Wir hegten den starken Verdacht, dass dieses Thermometer lange nicht geeicht worden war. Es dauerte immer quälend lange, bis sich der widerstrebende Zeiger vorwärts bewegte.

Sobald es im Sommer die Sonne gut meinte und vom stahlblauen Himmel lachte, beobachteten die Schüler erwartungsvoll den Temperaturanstieg des Thermometers. Ab 25 Grad Celsius konnten, aber mussten sie nicht, mit " Hitzefrei " rechnen.

So war es auch an einem Julitag des Jahres 1959. Unsere 11m saß in dem damals neuen Anbau neben dem Zeichensaal im einem Klassenraum unter dem Dach, der sich bei Sonnenschein sehr schnell und nachhaltig aufzuheizen pflegte. Hoffnungsvoll legte also der mathematisch-naturwissenschaftliche Nachwuchs ein eigenes Thermometer auf die Zinkverkleidung der Außenfensterbank. Wie erwartet zeigte die Quecksilbersäule bald hohe Temperaturen an. Nun ja, in diesem Umfeld war das wohl nicht anders zu erwarten, aber für uns auf jeden Fall als willkommenes Argument dienlich. Wir meldeten also die Hitzebelastung "teacher " Meinecke, zu dieser Zeit stellvertretender Schulleiter. Auf seine trocken - humorvolle Art ließ er uns abblitzen. "In meinem Vokabular existiert das Wort "hitzefrei" nicht! Zeigen Sie mir den Duden, in dem es aufgeführt ist!" Damit waren wir entlassen.

Wir mussten also einen anderen Weg suchen. Einen Klassenkameraden schickten wir in seiner Eigenschaft als Stellvertretender Schulsprecher in das Direktorium. Dort sollte er argumentieren, dass die Hitzebelastung einem sinnvollen Unterricht unzuträglich sei. " teacher " lächelte nachsichtig - überlegen und blieb bei seiner Meinung.

In den nächsten Tagen setzte sich das heiße Wetter fort. Weiterhin erhielten wir kein hitzefrei. Da uns die Hitze unzumutbar erschien, machten wir uns gemeinsam gegen 10:30 Uhr auf, marschierten die Treppen hinunter, kamen in den Eingangsbereich vor dem Portal und setzten uns auf die kühlen Steinstufen. Wir wollten "streiken". Dort saßen wir nun und warteten. Vorher hatten wir verabredet, dem sicher bald aufkreuzenden Lehrkörper auf Fragen nicht zu antworten, sondern stumm zu bleiben. Das wäre natürlich eine unerträgliche Missachtung der Schule gewaltigen und konnte von ihr als Provokation verstanden werden.

Anfangs geschah nichts. Dann schritt unser Sportlehrer Konrad auf seinem Weg zum Sportplatz der Schule an uns vorbei. Er erkundigte sich wie gewöhnlich freundlich und mäßig bewegt: " Was macht Ihr denn dar? Wir gaben nur ein kurzes "wir streiken für hitzefrei" von uns. Er zog amüsiert die Augenbrauen hoch, grinste und setzte mit der Bemerkung: "Dann streikt mal schön, Ihr Brüder, was? " seinem Weg fort.

Bei unserer Aktion hatten wir nicht ausreichend bedacht, dass wir in dieser Stunde ausgerechnet von unserem Klassenlehrer " Zeus " im Klassenraum erwartet wurden. Der war inzwischen dort gewesen, hatte niemanden vorgefunden, suchte uns und wurde von einem Kollegen aufgeklärt, dass wir auf den Steinstufen des Einganges saßen. Er erschien dann auch mit leicht flackerndem Blick, erhielt aber auf seine Fragen absprachegemäß keine Antwort. Er zog schließlich wütend ab. Wir frohlockten, unsere Siegeszuversicht stieg.

Es dauerte aber nicht lange, dann erschien teacher und begann uns scharfzüngig - autoritärer mal streng, mal mit beißendem Spott zu bearbeiten. Wir knickten psychologisch ein, der Streikt war beendet.

Freilich musste bei Außenstehenden der Eindruck entstehen, dass Zeus seine Klasse nicht im Griff hätte. Das war eine interne Rufschädigung für ihn, er ließ uns in nächster Zeit auch seinen Ärger spüren. Zu unseren Verdruss flatterten in den nächsten Tagen unseren Eltern " blaue Briefe " ins Haus. Dort hieß es dann zum Beispiel " ... ... und stellte sich in unverschämter Weise taub ... ... ".

Jedenfalls hatte unsere Klasse Einigkeit bewiesen. Zwei Tage später saßen wir nach der vierten Stunde in der von uns ansonsten gern zum Skat, Doppelkopf und Bierkonsum besuchten, schulnahen Gaststätte Beyer am von - Einem - Platz. Da flanierten Schüler vorbei, wir erfuhren, es sei jetzt hitzefrei gegeben worden, nur für die 11m, also für uns, nicht. Eine kleine Rache unserer Schulleitung, um uns einen Denkzettel zu verpassen. Da laut Stundenplan kein Unterricht mehr für uns vorgesehen war, ging dieser Schuss in' s Leere. Oder wollten die Lehrer mit diesem Spruch ohne Folgen nur ihr Gesicht wahren? Zurückblickend zeigte es sich wieder einmal, dass bei uns zwar bestraft wurde, aber Bestrafungen nicht auf die Spitze getrieben wurden. Unser Klassenlehrer grollte uns insgeheim noch lange, dass wir ihn - wenn auch unabsichtlich - bei unserem "Schulstreik" bloßgestellt hatten.

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© Ulrich Kohlstädt 2019